Name der interviewten Person Anonym
Geschlecht weiblich
Alter 47 Jahre
Religion/Glaubenszugehörigkeit Agnostisch
Herkunftsland Deutschland
Herkunftsland der Eltern Kosovo
Kürzel DR21.1
LG/TZ LG
Speaker 1 [00:00:00]
Jetzt können wir anfangen mit dem Interview. Also, äh, erzähl mir von deinem Leben.
Speaker 2 [00:00:32]
Ja. Also erst mal vielen Dank, dass ich, ah, dass du mich gefragt hast. Das ehrt mich auch sehr, weil ich dich auch sehr, sehr schätze und, ah, freue, mich jetzt hier dabei zu sein. Ja, was genau? Was genau, also, was genau interessiert dich denn? Oder was möchtest du denn wissen?
Speaker 1 [00:00:52]
Vielleicht können wir mit der Kindheit langsam anfangen. (Teilnehmer fängt schon an zu antworten)
Speaker 2 [00:00:56]
Also ich bin, ahm, 47 Jahre alt, jetzt, bin hier in Deutschland geboren und mein Vater ist angeworbene Facharbeiter. Und, ahm, genau meine Mutter ist etwas später dann nach Deutschland gekommen. Anfangs war mein Vater alleine. Ja, und dann hat er hier seine Familie gegründet. Ich bin in den, also, mein Bruder ist ein Jahr älter. Ich hab dann, also, wir sind insgesamt fünf Kinder, ein älteren Bruder. Alle anderen sind jünger. Ja, und dann, ah bin ich ah, also hier zur Schule gegangen. Und, ahm, hab die Hauptschule besucht. Einfach weil, ahm, mein Bruder schon auf der Hauptschule war und dann es einfacher war, denselben Schulweg zu haben. (Interviewer, bestätigt im Hintergrund: mmhm). Ahm, genau, und das wäre aber die Möglichkeit gewesen, auf die Realschule zu gehen. Aber meine Eltern haben nach der Grundschule gesagt Nee, nee, nee, die beiden sollen zusammenbleiben. Und wir sind tatsächlich wir waren schon von der ersten bis zur vierten Klasse in einer Klasse. Das war auch okay für mich, das war so schön. Und dann waren wir auf der weiterführenden Schule auch noch zusammen in einer Klasse. Und, ah, dadurch, dass meine Familie ja aus dem ehemaligen Jugoslawien, aus dem Kosovo stammt, haben wir noch den, ahm, muslimischen Hintergrund. Und ich sag mal, da ist das so ein bisschen, ich mein, das ist allgemein in Roma Familien, ne, aber, ich glaube, das verstärkt. Ich kann jetzt nur für mich sprechen, ne. Also ich glaube, das verstärkt noch mal, diesen Hintergrund zusätzlich zu haben. Ja, und das war schon schwierig für mich dann. Also anfangs, wo ich jetzt sag ich mal noch so Kind war, nicht, aber dann auf der weiterführenden Schule, so ab der achten Klasse ständig meinen Bruder da in meiner Klasse zu haben, war schon wirklich schwierig. Schwierigste Part für mich war, dass meine Mutter morgens nicht, ah, zu Hause war, wenn wir uns fertig gemacht, also, sie hat mich geweckt, ist dann aber arbeiten gegangen. Schon sehr früh morgens auch. Hat aber alles vorbereitet. Die Brote waren da, Frühstück war gemacht. Aber meine Aufgabe war es, meine Geschwister zu wecken und dafür zu sorgen, dass sie in die Schule gehen. Es hat auch gut geklappt mit den anderen, aber nicht mit meinem großen Bruder. Das war totaler Stress für mich. Und dann war der größte Stress überhaupt, weil ich hab den dann irgendwann einfach so mit er steht nicht auf, ist mir egal, ich geh und dann bin ich immer gegangen. Und dann habe ich aber von den Lehrer immer diese Diskussion ist, glaub es war nur ein Lehrer, der dann gesagt hat, ahh, der mich nie darauf angesprochen hat, sondern der selbst, (Teilnehmerin atmet laut ein) tätig geworden ist, nämlich dann bei uns zu Hause angerufen hat und Hausbesuche gemacht hat. Aber alle anderen haben immer gesagt Ja, wo ist denn dein Bruder? Und wieso ist dein Bruder denn nicht da? Ja, warum kann dein Bruder nicht da sein? Und ich habe immer gedacht, ich bin selber noch ein Kind. Ich hab, ahh, nichts damit zu tun. Also, das hat mich schon enorm genervt. Später kam dann dazu, also mit dieser, ahm, mit den Schulbesuchen, kam dann noch dazu, dass ich dann älter wurde und irgendwie natürlich andere Interessen entwickelt hab, ne. So, man will ja dann auch mal unter sich sein und reden und man findet ja dann auch mal, dann fängt das ja auch mal mit den Jungs an und so, ne. Es war absolut eine Katastrophe, ne. Immer unter Beobachtung zu sein. Es hat auch kein Junge wirklich mit mir geredet, weil die alle Angst hatten vor meinem Bruder, ne. (Speaker 1 und Speaker 2 lachen beide gleichzeitig)
Speaker 1 [00:04:31]
Das kann ich nachvollziehen.
Speaker 2 [00:04:33]
Also die haben sich wirklich alle zurückgehalten. Ich war absolut tabu so, an sich. Es hat sich auch niemand an mich rangetraut, also auch nicht jetzt mal so Konflikte zu, ahm, wie mal, ist ja normal, dass man auch Konflikte hat, ne. Aber ich wurde immer so umgangen und auch in den Pausen so. Und, ah, dass man halt kein Freiraum für sich hatte, ne. Also wirklich, dann, immer in der Schule unter Beobachtung stand in seiner Klasse und dann zu Hause dann, das war nicht so schön für mich. Allgemein fand ich aber trotzdem die Schulzeit schön. Muss ich sagen. Ich bin sehr gerne zur Schule gegangen, vor allem so ab der achten Klasse, weil ich dann gemerkt hab, was man erreichen kann mit der Schule. Es war mir vorher nicht klar. Ich bin gerne zur Schule gegangen, aber eigentlich nur, weil, ich, ah, dann nicht zu Hause war. Auch wenn ich zwar unter Beobachtung stand, musste ich kein Haushalt machen, weil ich für die anderen Geschwister zuständig, ah, und es war schon schön einfach mit anderen Kindern und Jugendlichen zusammen zu sein. Ja, und dann habe ich später. Dann haben wir uns in der zehnten Klasse getrennt, weil ich dann den Realschulabschluss gemacht hab. Es war sehr schön! Da war ich nämlich mal erst alleine, (Speaker 1 und Speaker 2 lachen beide) das erste Mal, zwar noch in derselben Schule, aber in verschiedenen Klassen, ne. Genau. Und dann, ah, hab ich noch, ah, die Fachoberschule besucht und da hab ich gedacht: Oh ja, jetzt bin ich auch noch ma` alleine. Aber wir waren wieder an derselben Schule, mein Bruder und ich, weil, der eine Ausbildung als Bäcker angefangen hat. Und die Bäcker waren nämlich auch da in dem so `ne Schule. Das ist so was wie `ne Berufsschule, Fachoberschule. So ein ganzer Komplex war das. Ja, und dann war ich ja schon wieder mit ihm zusammen und dann hat er aber … (Speaker 2 denkt kurz nach) Ach ja, genau. Nee. Und dann waren wir aber wieder zusammen. Aber nach zwei Jahren bin ich dann weggezogen, endgültig weggezogen, da und dann nach [Stadt 1 in Deutschland] gekommen, um die pädagogische Ausbildung zu machen. Ja, meine Eltern haben gearbeitet, immer, beide, ne. Anfangs hat meine Mutter noch nicht gearbeitet, aber dann, ich habe ja eben erzählt, auch wo wir schon in der Grundschule waren, ne, hat sie schon gearbeitet. Die hatte zwei Jobs, die hat einmal morgens früh geputzt im Krankenhaus, OP-Reinigung sehr anstrengend, ne und dann abends noch in der Spülküche bis 21:30 meistens und dann zu Hause. (Speaker 2 denkt nach) Und, ahm, genau. Jaa, und mein Vater hat als Schweißer gearbeitet, und der war, ist er schon sehr früh rausgegangen. Ich glaub, der ist schon so um fünf ist er schon los. Wir haben ihn morgens gar nicht gesehen. Und dann ist er halt am späten Nachmittag wiedergekommen und war, ah …. also haben beide sehr hart gearbeitet, ne! Und das war auch immer so für mich, ich hab auch meiner Mutter, also meine Schwester und ich, wir haben meiner Mutter viel geholfen auf der Arbeit. Wir sind oft abends mit ihr mitgegangen, ahm, und haben da gearbeitet und in allen Ferien sind wir auch immer mitgegangen, ne, da waren die halt auch schneller. Die haben sich gefreut, die Frauen, ne. Genau. Wir sind dann aber noch meine Schwester und ich und auch meine Brüder haben dann noch, ahm, Zeitungen ausgetragen. Das haben wir auch noch gemacht. Und ab der achten Klasse hatte ich dann noch für zwei Jahre so `nen Job bei einem Floristen, der eine Straße über uns gewohnt hat. Geld habe ich nie bekommen. Also, das habe ich auch nicht hinterfragt. (Speaker 1 fühlt mit: mmhm) Das war für mich völlig normal, obwohl meine Brüder schon ihr Geld behalten durften. Aber ich jetzt und meine Schwester nicht und sie haben es überhaupt nicht hinterfragt. Also, wir sind gar nicht auf die Idee gekommen zu sagen: Ich will das Geld jetzt behalten. Das war so selbstverständlich für uns. Das war unser Beitrag für die Familie auch, ne. Heute, wo ich selber Mutter bin von zwei Jungs, würde ich auf die Idee nicht kommen, das Geld `ne, meiner Kinder zu behalten, ne. (Speaker 1 und Speaker 2 lachen beide bestätigend)
Speaker 1 [00:08:52]
Bezahlen.
Speaker 2 [00:08:54]
Oder die Kinder da mit in Verantwortung, `ne, zu … ne, wie gesagt, es wär, es ist für mich überhaupt gar kein Thema gewesen, `ne, weil ich da so groß geworden bin. Aber meine Jungs würden mir was erzählen, wenn ich sagen würde, `ne, es ist halt eine andere Nummer, weil unser Familienverbund hat einfach anders funktioniert, `ne. (Speaker 1 bestätigt es im Hintergrund) Und wenn ich was gebraucht hab, hab ich das ja auch bekommen. Es war ja nicht so, wenn ich gesagt hab, ich brauch das oder dies, `ne, meistens für die Schule. Ich hatte sehr wenig Ansprüche. Muss ich sagen, ahm, hab ich das auch einmal bekommen, `ne. Ja so, das war halt so meine Kindheit und ah Jugendzeit, geprägt von viel alleine sein in den ersten Jahren, also so das komplette Grundschulalter, waren wir wirklich allein. Es gab noch einen Onkel, weil wir, ich red` wirklich von den Siebzigern, Anfang der 80er Jahre, `ne, (kleiner Huster) waren wir alleine. Es gab keine anderen Roma Familien, die dort gelebt haben. Wir haben keine Familie gehabt, die nicht im Kosovo war. (Speaker 1 mitfühlend im Hintergrund: Jaa). Die haben alle im Kosovo gelebt, in einer sehr bekannten Gegend in im Kosovo. Und die hatten auch, also, ma… mmm … Wir waren sehr häufig dort gewesen. Immer in den Ferien sind wir losgefahren. Und für mich war das einfach so ein Traumland, ne. Wenn wir in den Kosovo gefahren sind, dann hab ich immer gedacht: boah, das ist so toll. Weil, wir haben in, ah, Deutschland in `ner Dreizimmer Wohnung gelebt, zu sieben Personen. Und mein Vater hatte im Kosovo dann schon zwei Häuser gebaut, eins für seinen Bruder als Geschenk, weil der ihn großgezogen hat, weil mein Vater war Waise und dann für uns später. Und, ahm, ja, ich hab das alles so ein bisschen idealisiert. Ich war ja noch Kind und ich habe das alles so nicht. Ich habe immer nur gedacht, boah, wir haben da, also es war auch schön, wir hatten da unser großes Haus, wir hatten als erste eine Toilette, wir hatten also jeder hatte Strom und Wasser. Aber irgendwie sind wir auch immer mit den ganzen, ah, mit der ganzen Wäsche, die wir hatten, zum nächsten Fluss und haben dann die Wäsche im Fluss gewaschen. Das habe ich auch nicht hinterfragt. Für mich war das toll, weil in Deutschland muss man ja Badeanzug anziehen und im Kosovo geht man mit den Klamotten so rein ins Wasser und dann wäscht man seine Wäsche (Speaker 2 lacht darüber).
Speaker 1 [00:11:22]
(lacht mit)
Speaker 2 [00:11:23]
Und dann ist man fertig und dann geht man noch ein bisschen baden und das ganze Viertel ist da in diesem Fluss, `ne. Es war sehr, sehr schön. Aber dann sch…, viel spä…, und wir haben alle so zusammengewohnt. Also mein`, wir hatten da so ein großes, großen Platz, wir haben da gelebt, dann gegenüber, mein Onkel. Und dann, aj, ah, geht man da, jeder hatte riesen, also, man hat einen riesen Hof. Und dann waren da so Stahl Tore immer, die man auch öffnen konnte. Die wurden früh morgens geöffnet. Da hat man die gar nicht gesehen. Weil die auf Seite gegangen sind, hat man die gar nicht gesehen, `ne. Und abends wurden die, aber, abgeschlossen, `ne. Und sobald man halt daraus war, da war schon dann, ah, rechts nebenan der Cousin, der da gewohnt hat mit seiner Schwiegermutter. Ein Haus weiter hat mein Opa gewohnt, daneben der Onkel. Also es gab eigentlich das Drumherum, war nur so die ganze Familie. Und dann so paar Straßen weiter, fing das dann auch anders an, wo kein, nicht Familie war so, `ne. Und es war für mich wirklich einfach nur wunder, wunderschön, dort zu sein, da zu sein. Wir durften auch viel mehr als Mädchen. Wir durften viel länger draußen abends noch bleiben. Wir durften auch. Wir waren ja immer dann auch unterwegs. Viel, viel später hab ich dann realisiert und ich habe mir gedacht Mein Gott, was hab ich gedacht, `ne? Ich habe erst später realisiert, was das überhaupt, dass das ein Ghe.. ich sag jetzt mal ein Mahala wie ein Ghetto, ne. (Speaker 2 gleichzeitig: mhmm). Da haben ja gar keine Nicht Roma gelebt, es waren ja nur komplette Straßen. Es war ein sehr großes Viertel, Straße über Straßen. Und dann hab ich immer und alle, sagen wir mal gesagt: Woah, wir haben unsere eigene Ambulanz, wir haben unsere eigene Moschee, wir haben unsere eigene und im Nachhinein hab ich gedacht: Nee. Weit und breit kein Nicht Roma, ne. Die Infrastruktur, wenn ich das von heute betrachte, eine Katastrophe. Damit wir schön unter uns bleiben. Quasi gab es die Ambulanz irgendwann Jahre später, damit man ja nicht noch raus. Und ich hab überhaupt nicht festgestellt, also dass es so ich habe mich immer gewundert, aber ich habe das nie hinterfragt, warum da so eine große Müllkippe war. (Speaker 1 im Hintergrund: mhmm). Bis ich dann als später, als ich älter war, gedacht habe Scheiße ist eine riesen Müllkippe, wir haben neben `ner Müllkippe gelebt. (Speaker 1 gleichzeitig verwundert, geschockt: Wow). Ne, da wurde der Müll ja verbrannt. Dahinter war `ne Mauer und dann wurde der Müll, der wurde da ausgekippt, der quasi von der ganzen Stadt gesammelt, da ausgekippt. Und wir haben auch unseren Müll. Wenn wir wetten, haben wir das über die Mauer da geschmissen. Aber Jahre später habe ich gedacht Mein Gott, so toll war das alles doch nicht, ne. Ahm…
Speaker 1 [00:14:15]
Als Kind sieht man das anders natürlich. Das ist selbstverständlich.
Speaker 2 [00:14:19]
Ja, aber wenn ich dann heute so wie mit meiner Arbeit, und wie aktiv, ne, und da aah …, ja, wieder so ein Roma Viertel, wieder abseits, wieder am Rande der Gesellschaft, wieder nur unter sich und abgeschottet und wieder nur `ne Müllkippe, oder? Ne, es ist ja ganz, ganz häufig so, das, ah Roma Viertel, ahm, so sag ich mal von den jeweiligen Städten, Ländern, die Gesellschaft, wie auch immer… Ne, das ist ja so vorprogrammiert, da dürft ihr euch aufhalten, da seid, kommt wenn nur so wenig wirklich raus, ne. (Speaker 1 die im Hintergrund, besorgend: ja, ja). Und ja, ist schon Leben in `ner Parallelwelt, ah, war das dann, ne. Es fand ich auf jeden Fall erschreckend, als ich das festgestellt hab, ne.
Speaker 1 [00:15:06]
Ja, das kann ich nachvollziehen, ja. Speaker 2 macht kleine Pause, denkt nach
Speaker 2 [00:15:14].
Ja, genau. Und dann fing. Ja, und da. Bis dahin waren wir eigentlich sehr einsam, ne. Da war ich ja stehen geblieben, weil meine hat Familie einmal nur im Kosovo gelebt, hatte auch kein Grund jetzt, nach Deutschland zu kommen, weil war ja so alles okay. Mein Vater ist ja nur gekommen und mein Onkel, weil die ja angeworben worden sind. Sie waren da beim Arbeitsamt. Mein Vater hat immer gesagt, dass das so das kosovarische Arbeitsamt gewesen, und die haben ihn gefragt Sag mal, der war 21 oder so: Rama, willst du nicht da hin? Die suchen unbedingt Leute und gut bezahlt. Du kriegst Schlafmöglichkeiten und alles. Und dann haben die, sie überlegt, er und sein, zu dritt, die waren drei Brüder. Dann haben die gesagt: Komm, wir gehen alle, wir gucken uns das mal an! Der älteste Bruder ist nicht lang geblieben. Der hat gesagt Nee, dieses Leben hier ist komplett anders. Das will er nicht, ist wieder zurück. Aber mein Vater und sein Bruder sind geblieben. Die sind ja bis zum Schlu…, also bis jetzt, ne, sind die geblieben. Und deswegen sind wir dann immer nur in den Kosovo gefahren. Und dann fing das aber so an, Mitte, Ende der 80er Jahre, ne, Anfang der 90er, Ende der 90er. Diese ganzen… Und, weil alle sagen immer, wä…, als der Krieg war, aber das war ja schon vor dem Krieg, ne. Die Unruhen haben ja schon lange vorher… Begonnen und meine Familie hat schon sehr lange auch gewartet, ne. Also, mein, mein, wir haben wirklich sehr lange gewartet, die wollten da nicht weg, aber die hatten halt einfach auch keine Möglichkeit, ne. Ein Onkel, der Bruder meiner Mutter, ist schon früher raus, ne. Weil er sich einfach nur ein ruhigeres Leben erhofft hatte. Und er hatte auch viele kleine Kinder. Also fünf kleine Kinder. Und erst dann so, ich glaub‘, Mitte der, Ende der 80er Jahre, Ende der 80er Jahre gekommen, ne. Genau, der ist Ende der 80er Jahre gekommen. Und, ahm, dann hatten wir so ein erstmals so Familienleben und mit ihm sind dann noch ein paar Cousins, zwei Cousins gekommen und die sind auch alle dahin gekommen. Ist `ne Kleinstadt, wo ich herkomme. Aber die sind dann alle dahin, weil wir ja da waren. Ja, und dann waren wir gar nicht mehr alleine, ne. Also wir waren wirklich keinen Tag alleine, kein Wochenende alleine. Wir waren immer nur… Das hat mich auch irgendwann `n bisschen genervt, ne. Schule war sehr schwierig. Schule war sehr schwierig für mich, ne. Also lernen. Ich hatte keinen Arbeitsplatz, Ich hatte keine Ruhe, kein Zei… . Ich musste mir wirklich, ich hab immer gewartet, bis sie alle schlafen gehen. Und dann hab ich mich in die Küche gesetzt. Das war der einzigster Raum, wo keiner geschlafen hat. (Speaker 2 lacht). Ja, ich erinner` mich, wo ich elfte Klasse … war, hab ich wirklich so durchgezogen, ne. Immer gewartet, bis die alle gehen, schlafen gehen und dann mich hingesetzt und gelernt, ne, oder mich vorbereitet… Für die Sachen. Und, ahm, ja, und, ah, das, ahm, ist auf der einen Seite sehr schön, ne. Auf der anderen Seite mega anstrengend, so keinen Raum für sich zu haben und auch wo das nicht so gesehen wird von den anderen, ne. (Speaker zwei gliechzeitig: mhmm). Das ist so nebensächlich so gewesen. Also meine Mutter und mein Vater haben sich nicht gekümmert, dass ich da jetzt, ah, oder meine anderen Geschwister auch, ne, dass die jetzt da Raum haben für die Schu… Familie, ist einfach das Allerwichtigste gewesen und auch das, was das bedeutet, jetzt im Nachhinein, ne. Ich meine, ich mache mir jetzt, da, hab mir da meine Gedanken darum gemacht, was das heißt. Wir hatten, waren selber fünf Kinder, und meine Eltern haben wirklich hart gearbeitet, ne. Dann noch die ganze Zeit irgendwelche anderen Verwandten mit? Also ich sag, red` ja davon, wenn, wir waren über 20 Leute, ne. Jeden Tag für die zu kochen, da Essen da zu haben. Und bei uns ist sehr, du weißt, wie das ist. Man sitzt nicht einfach so.
Speaker 1 [00:19:29]
Anders oder so.
Speaker 2 [00:19:30]
Ne? Abends gibt es immer noch irgendwelche Knabbereien, Schwarzer Tee wird 24 Stunden, sag ich ma` angeboten, ne – Ruski Tschai (Russischer Tee), Kaffee, dies, das jenes…. Immer, immer, immer. Muss ein Heidengeld einfach gekostet haben, ne.
Speaker 1 [00:19:47]
Und wie. Wie lange hat das gedauert mit der Verwandtschaft bei euch?
Speaker 2 [00:19:51]
Sehr lange. Es hat sehr lange, ist das so gegangen. Ich bin ja auch ausgezogen. Und dann war das noch über Jahre so, ne. Ich bin ja …
Speaker 1 [00:19:58]
Über Jahre?
Speaker 2 [00:19:58]
Über Jahre. Über Jahre war das so. Im Endeffekt hat das erst aufgehört als meine … also als, vor allem mit meinen zwei, also einen Cousin und einen Onkel. Und ich rede ja davon, die, sie haben ja auch noch mal vier, fünf Kinder, ne. Also wann ist dann schon, ne, aber wir sind sieben, die sind sieben. Nochmal sieben sind schon 21 Leute. So, und das hat erst aufgehört, als mein Onkel, auch mein Onkel und meine Tante, keine Chancen auf eine Verfestigung vom Aufenthalt, von der Duldung hatten, ne, wo mein Onkel gesagt hat, das kann er nicht mehr, er kann dieses Leben nicht mehr leben. Er hatte Arbeitsverbot, keine, ne, immer nur `ne Duldung, die alle drei bis sechs Monate verlängert wurden. Und dann hat er gesagt, er packt seine Sachen und zieht nach Frankreich. Weil Frankreich hatte, genau zu dem Zeitpunkt gab`s diese Regelung: Du kommst hierhin, wir nehmen dich auf. Gerade die Roma auch aus dem Kosovo, ne. Und du kannst hierbleiben, du kriegst erst mal zehn Jahre. Und wenn, in zehn Jahren musst du dich hier, ah, verfestigen und dein Lebensunterhalt selber gestalten. Schaffst du es nicht, musst du gehen, ne. Und meine Familie haben dann so Dönerbuden, die haben sich selbstständig gemacht mit Döner Buden und damit sind die jetzt also, die haben alle `nen festen Aufenthalt und … ja. Und dann hat`s erst aufgehört, aber da habe ich dann auch nicht mehr zu Hause gelebt, ne. Aber ich bin halt sehr regelmäßig und häufig … das war, ah, war halt das Versprechen an mmh … mit meinen Eltern, wenn ich ausziehe, was so ein großes Thema war, meine Mutter war sehr dagegen. Hätte ich meinen Vater nicht gehabt, seine Unterstützung? Mag man gar nicht denken, ne (Speaker 1 und Speaker 2 lachen kurz gleichzeitig) hätte ich das nicht, nee. Meine Mutter war total dagegen. Meine Mutter wollte das nicht. Und meine Mutter hat gesagt: Nein, die kommt nicht mehr zurück. Und mein Vater hat gesagt: Doch, doch, wir machen das jetzt, weil der schon auch wusste. Auch wenn er das jetzt nie großartig jetzt, sag` ich mal, in der Zeit war die Familie wichtiger. Aber er wusste schon – Bildung. Meine Mutter wusste das nicht und meiner Mutter war das nicht so klar. Aber meinem Vater schon, ne.
Speaker 1 [00:22:15]
Dass Bildung wichtig ist.
Speaker 2 [00:22:17]
Mein Vater – Ja. Mein Vater war sehr gut in der Schule, damals im Kosovo. Er wäre sehr gerne weiter zur Schule gegangen. Er hätte auch sehr gerne studiert. Und er hat auch immer gesagt, weil sein Cousin zum Beispiel hat studiert, ne. Der, ahm einmal hat er mir auch bei der, ah, … der hat sehr engen Kontakt, aber der Cousin von meinem Vater ist aber dann nach Frankreich gezogen, auch als, angeworben wurde der und der hat aber in Belgrad, also, Beograd (auf Serbisch) studiert. Die sind dann vom Kosovo nach Beograd und hat, der hat da studiert, Architektur. Und dann hat mein Vater gesagt, ja, weil der Eltern hatte, konnte er studieren. Mein Vater hat ja keine Eltern, in dem Sinne, ne. Und der musste dann mit acht in der achten Klasse, also bis zur achten Klasse war da. Und dann hat der Bruder gesagt, die brauchen ihn zum Arbeiten. Der hat dann so Ziegelsteine Tugle, war halt sein Job, ne. Der hat dann da acht Stunden am Tag mit 14 Jahren schon hart auch gearbeitet und deswegen war dem schon klar. Er wäre auch gerne so gewesen wie sein Cousin, ne. Mhmm! Jaa! Und … (Trinkt Wasser)
Speaker 1 [00:23:47]
So. Und du hast gesagt, gerade dann bist du ausgezogen aus dem Haus. Und wie hat sich da dein Leben dann weiterentwickelt? Oder wie war das für dich Erst mal? Inwieweit hat dich dieses, dieser, ah ….
Speaker 2 [00:24:04]
Also, vielleicht, muss ich noch mal sagen, bevor ich zu dem Auszug komme, ist, was mich sehr geprägt hat. (Speaker 1 gleichzeitig: mmhm). Ja, weil das ist glaub` ich auch wichtig. Was mich sehr geprägt hat, ist dieser Kinder Treff, wo meine Mutter uns hingebracht hat, ne. Die hat irgendwann erfahren, also die war ja Analphabetin, meine Mutter konnte weder lesen, noch schreiben und die konnte, und es gab auch keine Mittagsbetreuung und es gab so `n, ahm, ´n Hort, hieß das früher, ne. Und, ahm, genau, und da hatten wir auch keinen Platz. Was heute alles, ne, also ich denk ma`, gut. Und wir hatten da auch keinen Platz und dann hat sie aber von irgend `ner Nachbarin gehört, eine türkische Frau war das: Man kann die Kinder da hinbringen die können dann da ein bisschen Zeit verbringen, ne. Weil meine Mutter, ahm, hat schon irgendwie gemerkt, okay, hier sind ihre Grenzen und die Kinder brauchen noch vielleicht was anderes. Und dann ist die da, mit uns hingegangen und das hat ihr auch ganz gut gefallen. Die waren sehr nett zu ihr (Speaker 1 gleichzeitig: mhmm) und die haben manchmal so Kaffeetrinken gemacht und dann ist sie da auch immer hingegangen und dann hat sie uns erst mal begleitet und dann durften wir aber alleine dahin und dann sind wir immer, immer so, sobald wir konnten und durften, sind wir in diesen Kindertreff gegangen. Und in diesem Kindertreff habe ich mich sehr, sehr wohl gefühlt. Da haben wir supernette Sachen gemacht, wir haben Theater gespielt, werden Hörspiele gemacht und das war auch der einzigste Raum, wo ich unbeobachtet sein konnte, weil die Sozialarbeiter dafür gesorgt haben. Die haben nämlich dann auch gesagt: Nee, nee, nee, nee – du machst jetzt mal damit und du machst … wir waren ja zu viert, vier Kinder. Die haben uns immer getrennt und das hat, ich hab gedacht … ich hab die so geliebt, ne! Ich habe die so bewundert. Ich hab immer gedacht, boah, so toll seid ihr, weil da konnte ich alles vergessen. Und dann hab ich immer gedacht: Ach so `ne Arbeit will ich auch mal später machen. Also die haben mich was beruflich, also so mein Beruf und meine Arbeit angeht, haben die mich sehr geprägt, weil ich einfach da das erste Mal gemerkt habe, man kann in einem Raum geschützt sein und man kann auch den Menschen trauen, so, ne, sind wirklich gute Leute, die wollen gar nichts von mir, sondern du sollst dich einfach nur wohlfühlen, ne. Die geben die diesen Raum. Also es war echt, wo ich gedacht habe: Nee, so eine Arbeit will ich auch mal später machen. (Speaker 1 gleichzeitig: Ach schön). Ja ja, deswegen bin ich ja auch in den sozialen Bereich wegen denen. (Speaker 1 gleichzeitig: Seehr schön, das ist dich toll). Ja, ja, und da war das auch so und dann sollte das abgerissen werden. Es gab kein Geld mehr, da waren wir sehr traurig. Und da haben die dann auch gesagt, wir müssen demonstrieren. Damals hat man ja auch viel demonstriert. Und meine Mutter: Ja! Und da habe ich die erste Demo gemacht, meine Geschwister, meine Mutter Und noch ein Haufen (Speaker 2 lacht währenddessen)
Speaker 1 [00:27:00]
(lacht)
Speaker 2 [00:27:01]
Sozialarbeiter: innen und alle zusammen sind wir da, und wir haben viele Demonstrationen gemacht damals, aber das Haus wurde abgerissen. Das war wirklich, also, es war echt für uns alle ganz, ganz schlimm, dass uns das genommen wurde damals, ne.
Speaker 1 [00:27:18]
Das kann ich mir vorstellen. Ja.
Speaker 2 [00:27:20]
Und mein, ah, Berufspraktikum zum Beispiel habe ich dann auch in dem Jugendzentrum gemacht, ne. (Speaker 1 gleichzeitig: Super). Und Jahre später, Jahre, Jahre später hatte ich dann auch, ahh, einen Kollegen, der mich als Kind betreut hat, habe ich einen Workshop gemacht, damals noch vom Rom e.V. bei der Stadt, also im Jugendamt. Und da war er. Es war richtig verrückt. Ja, richtig. Ja, nee, mit dem Auszug meintest du, um da noch mal darauf zu kommen. Was war noch mal eine Frage?
Speaker 1 [00:27:56]
Ja. Wie hat sich das für dich angefühlt? Wie war das für dich? War das, so quasi, Befreiung dann von diesem Familienleben, oder waren da noch andere Gefühle mit dabei? Und inwieweit hat das dein weiteres Leben dann geprägt? Also welche Auswirkungen hatte das?
Speaker 2 [00:28:17]
Also das war auf der einen Seite sehr befreiend und das kannte ich ja gar nicht so total, äh, dass diese Stadt! Wenn man aus der Kleinstadt kommt, ne.
Speaker 1 [00:28:26]
Nach [Stadt 1 in Deutschland] bist du umgezogen, ne?
Speaker 2 [00:28:27]
Ja, es war, einfach, bei uns fahren ja nur die Busse so alle paar Stunden. (Lacht darüber)
Speaker 1 [00:28:32]
Lacht mit.
Speaker 2 [00:28:33]
Und, ja die U-Bahn, das war schon, also es war wirklich, ich mein, ich war ja vorher schon auch da gewesen und hatte die Wohnung und die Schule und alles angeguckt, aber dann hier so zu leben! Es war auf der einen Seite sehr befreiend, aber auf der anderen Seite war das auch sehr komisch für mich. Ich hatte, da saß ich dann da in meiner WG und in meinem eigenen Zimmer und war das gar nicht gewohnt. Ich hatte noch nie in meinem Leben mein eigenes Zimmer, hatte ich das erste Mal, da war ich 18 Jahre alt. Mein eigenes Zimmer. Wo ich alles so machen konnte, wie ich wollte, wo ich essen und trinken und machen konnte. Es war schon … also es war sehr seltsam. Auf der einen Seite schön, aber auf der anderen Seite auch ein bisschen komisch. Ja, war schon ein bisschen komisch, aber ich hatte ja versprochen, dass ich jeden Freitag nach Hause fahre und dann bis Sonntag dableibe. Das hab ich auch anfangs wirklich so gemacht, ne. Ich habe jeden Freitag meine Sachen gepackt, nach der Schule, hab mich ich in den Zug gesetzt und bin schön brav nach Hause gefahren, ne, bis Sonntag.
Speaker 1 [00:29:44]
Und dein Zuhause war auch in der Nähe von [Stadt 1 in Deutschland], nicht so weit weg?
Speaker 2 [00:29:48]
ja, anderthalb, zwei Stunden.
Speaker 1 [00:29:49]
Ach, zwei Stunden doch?
Speaker 2 [00:29:50]
Musste ich dann fahren, ne.
Speaker 1 [00:29:51]
Das ist nicht so wenig.
Speaker 2 [00:29:53]
Nee, bin aber, dann zwei Stunden gefahren. Diese Strecke zu meinem Leben lang, ich weiß gar nicht, wie oft ich die Gefahren bin, ne. Und dann bin ich Treffen, immer freitags. Immer. Genau, das habe ich auch wirklich lange gemacht, ne und wir haben aber dann immer dann versucht, auch meine Schwester, die fünf Jahre jünger ist, dann haben wir gesagt: Ne, dieses Wochenende komme ich nicht, weil dann kommt meine Schwester. Und meine Eltern haben das auch, haben dem zugestimmt. Und irgendwann war meine Schwester, die war dann jedes Wochenende da, ne. Aber, meine Eltern sind auch gekommen. Manchmal sind die gekommen, ohne dass die was gesagt haben. Oooh, das war dann immer richtig – Drama. Es war richtig Drama. Wir mussten dann immer alles, ich musste dann erst mal picobello alles aufräumen und alles, was verdächtig war, wegräumen (Lacht darüber und Speaker 1 auch), ne, was gar nicht geht, so, weil bei uns trinkt man ja nicht und rauchen war au…, geht auch nicht und so, ne. Also alles weg dann, und wenn man dann so dann … ja und irgendwann hat das dann halt aufgehört, ne. Ich hab dann, ah, immer gesagt, ich muss lernen, ich muss lernen. Aber meine Schwester hat sich schon, meine Schwester – für sie war auch klar: Sie bleibt auf keinen Fall da, sie will auch da weg, ne. Weil das einfach ein anderes Leben.
Speaker 1 [00:31:13]
Sie hat durch deinen (Speaker 1 gleichzeitig: Ja) Umzug gesehen, was da was, also welche, welche Vorteile das hat?
Speaker 2 [00:31:20]
Genau, und sie war auch schon freier. Also sie konnte sich zum Beispiel auch mit Freundinnen treffen nachmittags. Ich durfte das alles nicht, ne. Mich, also, ich hatte auch keinen Besuch zu Hause und so und meine Brüder schon. Die, für die war alles, für die war alles anders, komplett, alles anders, ne. Die hatten Freundinnen. Also die hatten Liebesbeziehungen, die sie auch mit nach Hause gebracht haben, die bei uns übernachtet haben. Ne. Aber wir, ah, Mädels auf keinen Fall. Es war strikte Trennung, so, ne – was die dürfen, was wir dürfen. Also Selbstbestimmung als Frau, gibt es einfach nicht, ne. Und, ahm, ne, meine Schwester hat ganz klar gesagt: Da bleibe ich nicht. Ich muss mich dann, die hat dann auch ganz schlechte Noten gehabt in der Schule, bis sie dann auch verstanden hat – Ne, ich komme ja nur raus, wenn ich jetzt gute Noten hab. Dann hat die noch, äh, die hat sich dann, die hat einfach geguckt, wo verdient man denn Geld? Weil ich habe ja kein Geld verdient. Ich musste noch nebenher arbeiten gehen, ne, um alles zu bezahlen, weil meine Ausbildung einfach, ne, pädagogische Ausbildung kostet Geld, man bekommt nichts. Und meine Schwester hat gedacht: Nee, das geht auf keinen Fall. Dann hat sie gekuckt bei unter Ausbildungen – wer kriegt das meiste Geld? (lacht)
Speaker 1 [00:32:38]
Lacht gleichzeitig.
Speaker 2 [00:32:42]
Und dann stand da in der Liste – Krankenschwestern – hat sie gesagt: Das macht sie! Und dann hat sie sich beworben und hat nichts in [Stadt 1 in Deutschland] gekriegt, ne. Und da habe ich gesagt: [Stadt 3 in Deutschland], [Stadt 2 in Deutschland], das ist alles nah, da können wir uns dann besuchen und so, und dann hat die in [Stadt 2 in Deutschland], ah, ihren Platz bekommen und hat dann da ihre Ausbildung gemacht. Die ist dann hängengeblieben, weil die sich verliebt hat und ihr Mann [Stadt 2 in Deutschland]er ist und so, ne. Aber es ist halt noch nah. Ja, und sie hat dann halt auch den Weg so gemacht und für sie war es auch einfacher. Und für meine jüngere Schwester. Kein Vergleich, ne. Also die war, die hat auch, die war so frei, ich meine, die ist die Allerjüngste. Zwischen uns bestehen zehn Jahre Altersunterschied. Die hatte auch immer Geld, weil wir ihr immer Geld gegeben haben, ne. Wir haben ja alle schon gearbeitet.
Speaker 1 [00:33:32]
Und du hast als ältere Schwester quasi den Weg schon geräumt. (Speaker 2: Ja!) Also, du warst die erste, die den Weg, gegangen ist.
Speaker 2 [00:33:38]
Ja, die ist abends rausgegangen.
Speaker 2 [00:33:41]
Die ist gekommen. Die haben ja auch, die war auch sehr anstrengende Jugendliche, ne. Meine Eltern hatten gar keine Chance mit der, ne. Also die war schon … sie hat auch nie gearbeitet dann. Erst viel später. Hat die dann, hat auch angefangen und so … ja, das ist immer so, einer muss den Weg gehen. Die zweite hat`s dann einfacher, aber die dritte, die sch…, der Weg ist so frei ne, dann. Diese ganzen Diskussionen führt sie dann überhaupt gar nicht mehr, ne. Ne, das war schon, ahm …
Speaker 1 [00:34:18]
Ja, war das deine Frage Dann später, als du deine Ausbildung beendet hast, dass du wieder nach Hause kommst, oder?
Speaker 2 [00:34:24]
Ja, aber das Ding ist, ich hab mich ja dann verliebt in einen Mann mit afrikanischer Herkunft und das war ganz schlimm. Da haben meine Eltern gesagt: Das geht gar nicht, das ahm… und dann die mich ja verstoßen und meine Schwester hat ja noch heimlich dann Kontakt mit mir gehabt, ne, und, ah … Das ist halt auch, ne, das ist halt die Sache, da sieht man auch wieder, wie stark der Familienverbund ist, ne. Also ich muss sagen, ich hatte nie Angst jetzt, dass die mir was tun. Das, ah, ist bei uns nicht. Bei uns gibt es nicht, nur viele sagen: Aach, ist das nicht so wie bei den anderen, ihr seid ja noch muslimisch? Und dann hab ich gesagt: Tz, ah, meint ihr Ehrenmord? Man muss das ja aussprechen, ne. (Speaker 2 gleichzeitig: Ja, ja). Und dann haben die gesagt: Ja, gibt es das nicht, machen die nichts. Boah, Sabina, hast du keine Angst? Ich so – Nein. Bei uns gibt es das nicht. Bei uns, was da… bei uns ist das keine Strafe. Ne, Gläubige Menschen können nicht andere Menschen umbringen. (Speaker 1 gleichzeitig: Genau). Das ist etwas, was nur Gott bestimmt – wer gehen darf und wer nicht. Und die zweite Geschichte ist, dass es keine Strafe in dem Sinne, die Strafe ist, nämlich nicht in der Familie sein zu dürfen. Wenn die dich sehen, laufen die an dir vorbei. Und das ist die Strafe, oder?
Speaker 1 [00:35:39]
Es ist `ne Riesen Strafe.
Speaker 2 [00:35:42]
Alle versammeln sich, du bist nicht dabei, ne. Und das ist die Strafe. Das sollst du aushalten. Das ist die Demütigung, die sie dir geben. Weil sterben wär ja einfach.
Speaker 1 [00:35:54]
Ja.
Speaker 2 [00:35:54]
Dann leidest du ja nicht. Also, jetzt sage ich mal so, sagt man ja bei uns, deswegen, ah, ja, war schon hart, ne. Aber dann habe ich gedacht wow…, Also ganz ehrlich, ich hab dann gedacht: Was wollen die denn von mir? Was habe ich denn jetzt falsch gemacht? Ich habe mich verliebt in einen Menschen, der für sie nicht geht. Der Mann hat ja nichts, also, wenn ich jetzt irgendwas, wo ich gedacht hätte …. okay. Hätte ich mich ja noch…. Also ich habe mich ja reflektiert und hinterfragt. Und dann hab ich gedacht, nee, die sagen immer die anderen, die anderen, die anderen. Aber jetzt treten die wieder nach unten. Und das habe ich nicht eingesehen, weil zu sagen: Ja, der Mann ist schwarz – ist für mich kein Argument. Wenn die jetzt gesagt, wenn die jetzt gesagt hätten: Ja, der Mann, was weiß ich… Ich meine, er war auch ein junger Student, ne? Hab ich nicht verstanden, das ging einfach nicht in meinem Kopf rein, dass ich gedacht hab, ich hab doch gar nichts gemacht und der Mann ist so, wie der ist. Wir sind ja alles Menschen. (Speaker 2 gleichzeitig: Ja). Verstehe ich nicht, zu sagen: Der ist schwarz. Geht nicht. Klar, bei uns heiratet man nur innerhalb. Und wir hatten bis dahin, ne, mein Bruder dann eine deutsche Frau. Das ist ja noch eine andere Nummer, ne, ist was anderes, ob man jetzt weiß ist oder ob man schwarz ist, so. Da gibt`s schon große Unterschiede, weil das gab`s einfach nicht. Das gab`s bei uns einfach nicht, ne. Nur ich hab`s nicht eingesehen und deswegen habe ich auch gesagt: Nö.
Speaker 1 [00:37:23]
Ja, bei den Söhnen wird das, ahh, wird das nicht so bestraft? Wird eher angenommen, denk ich mir. (Speaker 1: Ja). Wenn die Söhne Frauen anderer Nationalität heiraten und so, ne? (Speaker 2: Genau!) So kenne ich das aus meiner Familie ja auch.
Speaker 2 [00:37:38]
Ja, das wird dann nicht hinterfragt, ne. Bei Frauen ist das schwieriger. Also selbst wenn er jetzt weiß, sag ich mal, und nicht Roma, wäre auch problematisch gewesen. Bei weitem nicht so problematisch wie als mit einem Mann, der schwarz ist, ne. Aber bei meinen Brüdern, die haben beide nicht, ah, Romni als Frauen. Natürlich haben meine Eltern versucht, die zu überreden. Natürlich, die waren auch verlobt. Also der eine war auch verlobt, aber der hat das nicht geschafft. Der hatte einfach gesagt: Ne, ich gehe, es geht nicht. Ne, jetzt meinen Eltern und am liebsten hätte es gemacht, unseren Eltern zuliebe. Aber der hat dann zurückgezogen im letzten Moment, was natürlich sehr beschämend war für meine Familie, ne. War es, wenn man schon verlobt ist, nach Roma Art und dann alles gemacht hat und dann sagt der Sohn: Aber, ne, ich will nicht. Also meine Mutter hat sich sehr geschämt dann, ne. Die hat gesagt aber für was bin ich hier? Die eine mit den Schwarzen, der andere da. Für die war das wir Kinder waren einfach absolut, so …. Dabei haben wir ja alle nichts gemacht, ne, nach unseren Normen und Werten. Es ist einfach. Ich sag immer, wir haben ein anderes Werte und Normen System, ne. Ich kenn beides und ich kann immer mischen. Das habe ich immer gemacht. Ich nehme mir von da und ich nehme mir von da. Was mir nicht gefällt, mache ich so wie da, was nicht da gut ist, nämlich von da. Und dann mische ich zusammen und dann gefällt’s mir auch, ne. Weil nur wie es bei uns ist, da wäre ich ja erdrückt. Das kann ich, konnte ich nicht aushalten. Ich kann auch verstehen, wenn meine Brüder dann sagen: Nee, das halte ich auch nicht aus. Nur es ist ungerecht von unserer Gesellschaft, sage ich mal unserer Ro, Rom:nja Mehrheitsgesellschaft, dass die das dann so verurteilen, ne. Und dass da so viele Unterschiede zwischen Männern und Frauen gemacht werden, ne, sind schon sehr stark patriarchal. Also, ne. Es einfach. Ja.
Speaker 1 [00:39:46]
Aber du hast trotzdem deinen Weg gefunden und bis deinen Weg gegangen. Also hast nicht so quasi nachgegeben, sondern.
Speaker 2 [00:39:52]
Nein, weil ich nicht eingesehen habe, warum. Hätte ich jetzt eingesehen. Ne? Weiß ich nicht. Also wäre der jetzt schlecht zu mir gewesen, oder wär das irgendwie keine Ahnung, `ne Gewaltbeziehung, oder der Mann wär schon verheiratet, oder, keine Ahnung was das für Gründe gibt, die man noch irgendwo einsehen kann, ne. Aber selbst da ist… Ne, hab ich nicht. Ich hab einfach gedacht, das ist so absurd, sie sind, so rassistisch, habe ich nur gedacht, ne.
Speaker 1 [00:40:21]
Und wie lange hat das dann gedauert, mit dem kein Kontakt zur Familie und so?
Speaker 2 [00:40:27]
Fünf Jahre! (Speaker 1 flüsternd: Fünf Jahre?). Ahm, Fünf Jahre. Fünf Jahre, bis mein Opa gekommen ist und dann gesagt hat wo ist denn meine Lieblings Enkelin? Ich bin ja seine erste Enkeltochter. Und dann haben die … er hatte das natürlich schon gehört und dann hat er gesagt: Das geht aber nicht. Das geht aber nicht. Ne. ….. Und da war der [Name des Sohnes], auch schon geboren, und da war ich auch alleine mit dem [Name des Sohnes], ne. Aber das hat für meinen Opa, hat der gesagt: Das spielt keine Rolle, die gehört zur Familie. Und dann hat mein Opa, ich weiß noch, da waren wir alle bei meinem Onkel. Und dann hat mein Opa meine Mutter genommen von der Seite und alle so drum herum. Mein Gott, wie im Film, ne. (Lacht) Licht von der einen Seite, ne, und jetzt umarmt euch und alles ist wieder gut.
Speaker 1 [00:41:23]
Ja, ja, ja
Speaker 2 [00:41:26]
Ja, der [Name des Sohnes] war auch, ah, wirklich wie gerade geboren, ne. Also, das war, hat dann aufgehört. Das hat wirklich dann, also sobald das Kind da war, es ist … und das war ja, ich war ja dann kurze Zeit später alleine, war für meine Familie auch gar kein Thema, ne. Klar hat mein Vater gesagt: Siehst du, ich habe es dir das gesagt, du hast nicht auf mich gehört. Hättest du mal auf uns gehört, dann hättest du jetzt hier so und so ein Leben. Da habe ich immer gedacht – Ne, es ist so, wie es ist, ne, so ist das …. Leben. Nee und ja. Ja, und die Einsicht, von denen kam ja, da war ja. Es wird ja auch nicht mehr darüber gesprochen.
Speaker 1 [00:42:13]
Warst du schon im Beruf, warst du dann berufstätig da?
Speaker 2 [00:42:15]
Ja, ja, ja. Da war ich auch schon beim Rom e.V. In der ersten Zeit, genau da war ich beim Rom e.v. auch und fand mein Vater nicht so toll. Meine restliche Familie fand das gut.
Speaker 1 [00:42:28]
Das du beim Rom e.V., da?
Speaker 2 [00:42:29]
Das ich da mit den Rom, (gleichzeitig Speaker 1: mhmh), das fanden die schon gut, ne. Weil ich hatte einen Onkel im Kosovo. Ah, der war auch sehr aktiv in der Bürgerrechtsbewegung, und er war schon in den 70er Jahren in Indien unterwegs gewesen. Ja. Ahm, und deswegen haben die immer gesagt: Ähh, wie unser Kako Lupce (auf Romanes: Onkel Lupce), (Lachen) der sehr früh auch verstorben ist, und so. Das fanden wir schon gut, weil er, ich glaube, ich müsste das auch noch mal mich auf den Weg machen und das Ganze noch mal mit den Älteren, weil solange die noch leben, ne. Ahm, weil diese Struktur, die wir dann gebaut hatten, in dem Viertel, waren mein Onkel, also mein Großonkel, auch sehr aktiv, ne, da, weil die hatten anfangs, die hatten nämlich, die hatten nur Wasserpumpen. Später kam das mit dem Wasser, ne. Also noch frühzeitig für Roma Verhältnisse und Roma Viertel, muss ich sagen, ne. In manchen ist das ja bis heute noch so! Und. Ah. Ja, ja, ja. Es hat ein paar Jahre gedauert.
Speaker 1 [00:43:45]
Und inwieweit hat die Erziehung oder das Familienleben, was du als Kind mit gemacht und mitgenommen hast so, ah, inwieweit hat das dann die Erziehung deiner Kinder weiterhin geprägt? Also hast du welche Werte da übernommen oder, ahm, hast du das eher geändert? Oder inwieweit hat deine Kindheit dann wieder die Erziehung deiner Kinder geprägt?
Speaker 2 [00:44:15]
Also ich, ahm, muss ja sagen, dadurch, ne, dass ich ja die Erzieherinnen Ausbildung gemacht hab, habe ich da in der Ausbildung sehr viel gelernt, ne. Und dann habe ich ja schon mit Kindern gearbeitet, bevor ich eigene Kinder hatte. Und, ah, zum Beispiel, als der Jose dann geboren wurde und meine Mutter dann so gewisse Dinge …. zum Beispiel es gab so einen Gehreif.
Speaker 1 [00:44:40]
Mhm.
Speaker 2 [00:44:41]
Da hat man die Kinder reingesetzt. Und meine Mutter meinte dann so, ja, wir müssen auch so ein Gehreif besorgen, weil wir waren alle in Gehreif. Und dann hab ich, aber, meiner Mutter gesagt: Nee, nee, nee, nee, absolute Katastrophe. Man benutzt keine Gehreifs, ne, weil das ist schlecht für die Haltung und Rücken. Da hat die mich so angeguckt und hat gesagt: Na gut, du wirst das besser wissen, Du hast die Schule, ich hab die nicht. Das hat die immer dann gesagt, ne. Aber es gab so bestimmte Dinge, die habe ich natürlich von meiner Mutter übernommen, ne. Zum Beispiel mit der Baby Massage. Ne, Meine Mama hat mir dann, oder wie wir wickeln. Meine Mama hat dann gesagt: Ne, ne, ne, so geht das nicht. Der Rü… der, die Knochen! Und dann haben wir den gewickelt, so, du weißt, ne.
Speaker 1 [00:45:24]
Mhm, ich kenne das, ja, ja.
Speaker 2 [00:45:27]
(lautes Lachen) Wie Mumie, nur noch der Kopf, nur noch so das Gesicht kam so, aber süß, ne (hiermit ist gemeint, dass Babys am ganzen Körper gewickelt werden, außer der Kopf). Und, ah, das in der westlichen Kultur, sage ich mal jetzt, ne,…. denken die: Um Gottes willen, was machen die denn da mit dem Kind? Das geht ja gar nicht, ne! Wobei das ja gar nicht so ist. Es ist ja eigentlich gut fürs Kind, weil dadurch kriegt es Halt. (Speaker 1 gleichzeitig: Genau) Ne, und das ist so wie im Mutterleib (Speaker 1: Genau) auch. Aber, ah, da war das noch nicht so, ne und da hat meine Mutter gesagt: Nee, da muss, ah, wir machen das jetzt so, dann hat sie mir das auch gezeigt. Und was auch war, halt, mit dieser Baby Massage, ne? Da sie aber das habe ich nicht gelernt, weil das habe ich schon gesehen, bei meiner Schwester und bei meinen ganzen Cousins. Und da waren ja, wir haben jetzt … die hat mir jetzt keinen Kurs gegeben, weil man wächst ja, du kennst das, man wächst da in die Familie rein und mit sind immer Kinder da. Und ich musste auch nicht lernen, wie man wickelt, weil ich wusste ja schon, ich hatte meine Schwester schon gewickelt und meine anderen Geschwister und die ganzen Cousins und Cousinen, ne, und, ah … Ne, ich hab dann aber in [Stadt 1 in Deutschland] das so wie Kurse, ich hab dann so was gemacht, wie Babyschwimmen, „PIKI“, „Das erste Lebensjahr“, ne. Und dann bin ich immer zum Eltern Frühstück vom Kinderschutzbund gegangen. Und in dieser „PIK“ Gruppe haben die dann gesagt ja, wir machen jetzt eine Einheit Baby Massage. Und dann haben die uns so ein Video gezeigt und da fing das gerade an und ich so: Ach, das kann ich! Und dann haben die gesagt: Woher kannst du das? Hast du schon ein Kurs belegt? (Lautes Lachen)
Speaker 1 [00:46:59]
(Lautes Lachen)
Speaker 2 [00:47:01]
Hab ich gesagt: Nee, kann ich von zu Hause. Ja, magst du uns das mal zeigen? Was machst du denn da? Und dann hab ich denen das gezeigt und die hat gesagt: das ist indische, das ist, ah, bi… das ist diese indische Bi… Das ist ja, aus Indien. Kommt das ja. Und dann habe ich gesagt Ja, das liegt daran, dass unsere Vorfahren, und das ist so interessant, dass unsere Frauen das über Jahrhunderte übernommen haben. Dieses Weißt du, was ich meine, so, auf, zu, Beine hoch und feste, und die Kinder lieben das, ja (Hier geht es um bestimmte Baby Gymnastik, die auch Ärzte vorschlagen).
Speaker 1 [00:47:31]
Ja.
Speaker 2 [00:47:32]
Kinder lieben das. Habe ich gedacht: Ja, das ist das, was wir auch wieder mit übernommen haben, ne. Ohne irgendwelche Kurse, ohne irgendwelche Praxis, ohne das, einfach nur von Familie, von Generation zu Frau.
Speaker 1 [00:47:48]
Das ist aber toll. Ich wusste nicht, dass das aus Indien kommt.
Speaker 2 [00:47:52]
Da diese …. ja, ja, fand ich super interessant, ne, ja diese Parallele dazu, ne. Ne, es gibt vieles, was ich dann anders gemacht habe, ne. Schon auf jeden Fall auch so … so Eigenbestimmung, oder, mich jetzt, ich habe jetzt ein erwachsenes Kind, ne, da zu lernen, mich da so ein bisschen rauszuhalten, ne. Und nicht immer. Also, ich versuche nicht so wertend zu sein, ne. Und lass ihn da auch machen, und manchmal denke ich mir: Oh je, mhm, aber, ich weiß, lieber sag jetzt nichts, ne, weil der muss dann seine eigenen Erfahrungen machen. Ja, und ich hab mir vorgenommen, weil bei uns zu Hause lief alles so, ich hatte halt kein Zuhause, wo ich so frei sprechen konnte. Und das war mein größtes Ziel. Ich habe immer gesagt, meine Kinder sollen keine Angst haben, es ist mir egal, was. Die sollen mit allem zu mir kommen. Ich werde nix bewerten, nix verurteilen, so, ne. Und die sollen mir einfach … ich wollte gerne, weil ich hätte so gerne gehabt, dass meine Mutter meine beste Freundin wär, aber das war einfach nicht so, ne! Aber, ahm, für meine Kinder habe ich mir das so gewünscht. Und jetzt so im Nachhinein, wenn ich das so beobachte – ja, es gibt eigentlich nichts, was der Jose nicht erzählt, ne. Es ist schon sehr …. weil er halt auch weiß, also es gibt … ich bin da sehr offen, auch wenn er Sachen macht, wo der weiß, na ja, die findet das nicht so toll. Trotzdem erzählt er das dann einfach auch, ne. Das war mir wichtig. Einfach ne, dass man einfach zu Hause, dass man wirklich zu Hause sicher, ne, ist und egal was ist immer darüber reden kann und dann auch eine Lösung finden. (Speaker 1 gleichzeitig: Ja, klar). Ne, weil diese Verstoßung ist, ich finde, am meist… es gibt keine Verstoßung, kannst dein Kind nicht verstoßen (lacht), ne.
Speaker 1 [00:49:56]
Das geht nicht.
Speaker 2 [00:49:57]
Nee, da muss also schon wirklich, nee, ahm.
Speaker 1 [00:50:04]
Und in deinem Berufsleben, wann hast du dann im Rom e.V. angefangen?
Speaker 2 [00:50:08]
Ja, ich habe quasi.
Speaker 1 [00:50:10]
Also du hast.
Speaker 2 [00:50:11]
Einmal in der Jugend und Heimerziehung gearbeitet, ne. Ich habe ja den Schwerpunkt Jugend und Heimerziehung. Und da habe ich gearbeitet, auch an zwei Stellen. Und dann habe ich aber ein Ehrenamt gemacht beim Rom e.V., `ne Mädchengruppe habe ich übernommen, weil ich mir dachte ja, die sollen auch so schön, ne, alles bekommen, was die, was ich nicht hatte und den ermöglichen. Und dann war ich in so `ner geflüchteten Unterkunft und hab da einmal die Woche ein Projekt gemacht. Und immer, wenn ich mal Zeit hatte, bin ich in den Rom e.V. gegangen, so nach der Schule manchmal, habe da Kaffee getrunken, mit den Sozialarbeitern gesessen und oftmals war das so, dass ich dann gedolmetscht hab, ne, blieb dann nicht aus. Die waren dann halt ohne Dolmetscher und haben nicht verstanden. Und dann habe ich immer gedolmetscht und irgendwann haben die gesagt, da war ich auch in der Wohnung. Betreutes Wohnen für junge Mädchen, auch geflüchtete Mädchen aus dem Iran damals. Und dann hat der Rom e.V. aber gesagt: Sabina, willst du nicht bei uns arbeiten? Wir bieten dir hier eine Stelle an! Dann habe ich meinen Job gekündigt, der besser bezahlt war. (Lacht laut) Jaa, und dann bin ich in den Rom e.V. gegangen für eine ganz unsichere Stelle. Und ich war dann auch sehr lange da und es war immer unsicher. Es war nie. Es gibt ja keine festen ..
Speaker 1 [00:51:35]
Aber da hat das Herz mitgemacht.
Speaker 2 [00:51:38]
Ja, ja, da war mir das egal. Ich habe immer gedacht Ach Gott, ich finde immer Arbeit und der Markt ist groß. Und ja.
Speaker 1 [00:51:45]
Du hattest eine Ausbildung eben. Du musstest dir keine Sorgen machen.
Speaker 2 [00:51:49]
Nein, ich hatte meine Ausbildung und die Mehrsprachigkeit, ne. Das ist wirklich sehr, sehr viel wert, ne. Ja, also das ist ein hohes Gut. Ein großes Geschenk. Unsere Muttersprache, ne. Ja, oder Egal, welche Sprache man spricht, aber gerade das Romanes, ne, ist wirklich, wirklich, wirklich ein großes Gut, ne, das zu haben. Ja, was natürlich auch schade ist, weil da fängt das auch schon wieder an wo ist die Wertschätzung, ne, uns gegenüber? Wie kann es sein, dass ich in einem, bei einem Träger arbeite, freien Träger besser bezahlt werde, als wenn ich jetzt in den Menschenrechtsverein gehe, für meine Community arbeite, ne? Für weniger Geld? Nicht jeder ist bereit zu verzichten und ahh …. kann man auch manchmal nicht, ne.
Speaker 1 [00:52:37]
Ne, manchmal geht das nicht.
Speaker 2 [00:52:38]
Nein, das geht auch nicht, wenn man alleine ist, dass das was ganz anderes, ne, dann überlegt man, ah, muss man sich das halt gut überlegen. Und das ist schon auch sehr, sehr schade, ne. Viele Sachen laufen nicht gut, auch im, ah, Rom e.V. ne, muss ich ganz klar sagen. Also die Wertschätzung jetzt von außen betrachtet, ne, zum Beispiel das Archiv und Dokumentationszentrum, das stört mich total, ne. Wenn ich mir denke, das ist das, was wir hier über haben in ganz [Stadt 1 in Deutschland] und jetzt NRW, ne. So ein Archiv und so über so viele Jahrzehnte ist das … und das dann in diesem beengten und weiß ich nicht. Eigentlich gehört uns doch auch. Warum können wir nicht so was haben? Zum Beispiel, ich hab immer gedacht, ich träume nicht. Es ist wirklich meine Forderung zu sagen: Lass uns Räume haben wie die Judaika oder ein anderes Museum. Und da viel mehr noch, kann man ja ausstellen, ne. Man kann begehbare, ah, Ausstellungen machen, man kann, ah, ah, Dauerausstellungen, sollte man sowieso haben, Audio-Ausstellungen, also, man kann … wieso ist das keine Wertschätzung seitens der Stadt oder des Landes oder des Bundes oder wem auch immer, ne? Wie kann das sein? In einem Raum da? Finde ich, ahso, ah, ff, gegenüber unserer Community finde ich das unmöglich, ne, weil da fängt ja schon die Wertschätzung an!
Speaker 1 [00:54:10]
Und warst du dann lange beim Rom e. V.?
Speaker 2 [00:54:12]
Ja, ich war ungefähr zwölf Jahre danach. Tja ja. Bis zur Geburt meines zweiten Kindes, ne. Und. Dann habe ich auch lange woanders gearbeitet. Ich war im Schulbereich, ne, weil das besser für mich war und ich auch meine Auseinandersetzungen mit dem Rom e.V. hatte, muss ich ganz klar sagen und lange auch nicht aktiv in der Community war. Einfach, weil da kein Raum für war, ne. Genau. Und dann war ich zehn Jahre in der Grundschule. Aber immer mit dem Fokus Roma Kinder, immer Roma Kinder war mein Schwerpunkt und ah, Elternarbeit. Das habe ich immer. Dafür haben die mich auch eingestellt, ne. Die haben mich bin durch `nen Bekannten … ich weiß nicht, ob Du den noch kennst, es ist ein Kinderarzt, Peter Stankowski.
Speaker 1 [00:55:06]
Vom Namen her, ja.
Speaker 2 [00:55:08]
Genau, Bekannter, der Peter, der hat mich da vorgeschlagen in der Schule, weil die so Probleme haten.
Speaker 1 [00:55:13]
Als Schulmediatorin, quasi, ne?
Speaker 2 [00:55:15]
Ja, ich war erst so, Honorar…. Nee, also schon, ich habe viel, ich habe eigentlich alles gemacht, also ich weiß auch nicht. Ich habe dann später bei den Träger war ich angestellt, dann später war ich beim, bei der Bezirksregierung angestellt, als Lehrerin haben die mich dann noch, ah, angestellt, da bin ich wieder in den Träger, ne, also, es war immer so, ja. Aber es war schon so, dass ich hatte auch ganze Klassen, was ich sehr gut fand. Weil ich war, natürlich, ich hab auch Roma Förderung gemacht und nur mit den Roma Kindern gearbeitet und da speziell Einzel und Gruppen Förderung. Aber ich habe auch ganze Klassen gehabt. Zweimal, zum Bespiel, vier Jahre hatte ich eine Klasse von der ersten bis zur vierten Klasse. Da waren aber Roma Kinder mit drinne und das war super. Und so wünsche ich das für unsere Kinder und für alle anderen Kinder auch eine Pädagogin zu haben, die aus der Community kommt und die, die einfach dann: Frau [Name]! Und für die war das auch so, ah, und ganz, das hat einfach so dazugehört, auch mit den Roma Kindern, dass wir da speziell auch noch mal dann besonders da geguckt haben, ne. Und dann wurden auch so, wir haben auch ganz offen und ganz klar darüber gesprochen, ne. Ich habe auch mit denen, weil, das „Z“ Wort wurde genannt und dann hab ich auch mit den Kindern hinsichtlich dazu gearbeitet und mit denen auch darüber gesprochen. Später haben wir das auch, in, quasi in den Unterricht mit eingebaut. Ich bin dann durch mehrere Klassen, so, dass es ist dann halt schon so wie Schulmediatorin, ne. Aber für diese Klasse, war…, wo ich gearbeitet hab, quasi für alle Kinder war ich ja die Ansprechperson, ne und auch für deren Eltern. Aber dann noch mal für die Kinder. Das war so schön, jemand Vorbildfunktion aus der Community zu haben, so wichtig. Und auch für die anderen Kinder war das schön, ne. Die haben ja dann gar keinen, die anderen Kinder haben ja gar keine Unterschiede gemacht. Es war für die, so wie jeder andere halt auch, ne. Ja. Ne, das war auf jeden Fall … also Schule habe ich auch sehr, sehr gern gemacht, ja. Weil nur durch Vorbildfunktion kannst du – und dann das über Jahre, ne. So kriegen Kinder Vertrauen und, ah..
Speaker 1 [00:57:37]
Ja.
Speaker 2 [00:57:38]
Und sie werden gestärkt und werden ernst genommen, weil das ist ja immer das, was ich sage. Man sagt ja immer, Schule ist gleich Schutzraum, ne. Es ist ja nicht – nicht für unsere Community, ne. Man sagt also, das ist so konzeptionell steht das in jedem Konzept, ne – von jeder Schule, von jedem Träger. Aber ist es ja nicht. Weil wenn deine Eltern nicht Schutzraum, sag ich mal zum Beispiel bei meinem Vater, ne. Der, da nach der achten Klasse gehen muss, weil der irgendwo arbeiten muss und keiner, der in der Schule oder das System nicht sagt, nee, halt, der ist aber noch schulpflichtig, sondern einfach egal ist. Wenn er rausgeht, geht er raus. Kümmert sich, halt, eben keiner. Und übertragen auf Deutschland ist das ja auch bei uns und auch jetzt für viele Sinti Angehörige immer schon so gewesen – Förderschule, ne. Mit dem werden wir nicht fertig. Wenn der fehlt, sind die froh. Das habe ich erlebt in meinem zehn Jahre Schulalltagsleben, die Lehrerin war erleichtert, wenn das Kind nicht da war. (Speaker 2 gleichzeitig: Warum?). Weil es ruhiger war, ne. Das Kind macht dann halt Unruhe, ne. Und dann muss man sich kümmern und da muss man extra noch mal da gucken und da nochmal. Aber das ist ja auch nicht nur bei Roma Kindern so, das ist ja, du hast ja, sag ich mal, du hast ja immer irgendwie ein Kind, je nachdem ist das `ne inklusive Schule, ne. Du hast ja standardmäßig, sage ich mal immer wieder, immer auffällige Kinder. Du hast Kinder mit Autus…, Autismusspektrum, ne, wo du gucken musst, dann hast du, ah. Es ist halt irgendwie STANDARD. Es ist einfach nicht so, dass die Klassen sind, dass sie gut …
Speaker 1 [00:59:24]
Einheitlich sind.
Speaker 2 [00:59:25]
Ne! Ist es nicht, das es bunt, wild, durchgemischt. Und äh,…, dann, Ist man halt auch einfach froh dann, ne, wenn dann mal mal ruhiger ist. Aber das ist genauso wie für die Kinder, z.B. sag ich jetzt mal, mit Behinderung, die in der Schule sind, dann sind, ne. weil dieses System – Schulbegleitung gibt es ja noch nicht so lange, sage ich mal, ne? (Speaker 2 gleichzeitig: Genau). Ja, und deswegen, ah? Ja, Ist das schon so, dass wir sagen, also, dass ich immer sage, es ist kein äh, äh, sicherer Raum für uns, weil deine Eltern haben, dass ist übertragbar von Generation zu Generation, ne. Schule bei uns in unserer Community ist nicht gleich Schutz und sicher. (Speaker 1 gleichzeitig: Leider, ja). Ja, ist so, auch in Deutschland, ne. Wo ich immer sage und dann sagen die immer viele: Ja, okay, wir haben hier dieselben Chancen, wir können, haben alle die Möglichkeiten. Nein, haben wir nicht! Weil unsere Community, es sind alle traumatisiert. Wir sind alle traumatisiert. Wir haben Traumata schon vor unseren Familien und Generationen übernommen, mit denen wir geboren werden. Es ist einfach so, da kann man auch nicht drüber diskutieren oder wegdiskutieren. Es ist schon, kommen auf, diese Welt und sind schon traumatisiert und haben die übernommen. Und dann zusätzlich zu dem ganzen Leben, was das Leben so bringt: Familie, ne, was man nicht beeinflussen kann – so – und vieles aber schon vorprogrammiert ist, wie zum Beispiel schlechte Wohnverhältnisse, ne. Zum Beispiel mit sieben Personen in einer drei Zimmer Wohnung zu leben …
Speaker 1 [01:01:12]
Wie ihr damals.
Speaker 2 [01:01:13]
Ja, genau und wie heute noch viele, ne. Wie heute noch viele. Das ist einfach, äh, wie soll man da Ruhe haben? Wie soll man da sich entfalten, ne? Dann kommt oft dazu, dass viele in unserer Community so krank sind. Und unsere Lebenserwartungsdauer ist auch nicht gerade die höchste, ne. Das ist erschreckend. Ist ja erschreckend, ne, dass das so ist und ahm, die wir haben nicht dieselben Chancen und Voraussetzungen, weil, ich ganz klar sagen muss, um Bildung, also ganz klar, wir sind unterschiedlich, ne. Ja, ich hab jetzt `ne enorm starke Resilienz entwickelt. Das war so mein Glück, ne, dass ich dann das trotzdem irgendwie noch geschafft habe. Aber die meisten schaffen das nicht. Wie sollen sie das denn schaffen? Weil, damit du lernst und aufnahmefähig bist, musst du gesund sein. Wenn denn, wenn dein Gehirn. Wie soll dein Gehirn denn aufnehmen können? Die Regel ist das nicht. Und davon dürfen wir auch nicht ausgehen, weil du musst, schon klar, gesunde Kinder können gesund lernen, da kannst du so viele Chancen wie du willst. Wenn du, wenn ich mal die Kinder, die ich in der Schule hatte, die dann in geflüchteten Unterkünften leben, die Angst haben vor Abschiebung, wo die Eltern krank sind, wo die, ah, Existenz Probleme haben, wie soll ich dem Kind dann sagen: Fühl dich sicher, fühl dich …. das Kind ist blockiert. Ich kann … ich bin froh gewesen, wenn die gekommen sind, muss ich ganz ehrlich sagen. Ich war immer froh. Und die sind re….. also, meine, ah, sag ich mal, Kinder, die ich da beschult hab, sind immer regelmäßig gekommen. Das war nicht das Problem, ne. Weil die Beziehung eine andere war, auch mit den Eltern. Also das habe ich so auch erlebt in den ganzen Jahren, ne. Wenn, dann, man muss Elternarbeit machen. Man muss in Kontakt mit den Eltern sein, kurze Wege haben, ne. Ich sage jetzt nicht, man muss 24 Stunden für die bereit sein. Nein, auf keinen Fall. (Lacht kurz)
Speaker 1 [01:03:17]
Ja.
Speaker 2 [01:03:18]
Aber, man muss auf die, man muss ansprechbar sein, ne. Wenn die Fragen haben oder sich unsicher sind in Kontakt mit denen, dann klappt das auch mit dem Schulbesuch, ne. Weil man muss denen ja vermitteln, die kennen das ja nicht.
Speaker 1 [01:03:31]
Ja, also ich höre so raus: Also so deine Erfahrungen, die du gemacht hast, ah, gut, ihr wart keine Geflüchtete damals.
Speaker 2 [01:03:43]
Genau.
Speaker 1 [01:03:44]
Also dein Vater ist als Gastarbeiter quasi, in der Gastarbeitergeneration gekommen, aber trotzdem hast du bestimmte Erfahrungen gemacht, ah. Versuchst du jetzt in deinem Berufsleben so Diesen harten Menschen zu geben, den, der vielleicht euch damals gefehlt hat oder?
Speaker 2 [01:04:03]
Ja! Wobei ich sehr viel Diskriminierung erlebt hab, ne, auf der weiterführenden Schule – Enorm – habe ich jetzt gar nicht erl…, äh, erwähnt, ne. Ich bin in den 80er Jahren in die Schule gegangen auf der weiterführenden Schule. Wir waren immer die „Z“ Kinder. Mein Bruder hat sich immer nur geprügelt mit den, also, hauptsächlich …. also es waren wirklich …. damals war ja eine andere Stimmung, sage ich mal, wir waren in einer Kleinstadt. Es gab nicht so viele, ähm, ja, Menschen anderer Herkunft. Es gab Spanier noch, Italiener noch, weil die auch alle angeworbene Kinder waren, ne, und türkische Leute gab`s noch (Speaker 1 gleichzeitig: Familien meinst du, neben den anderen Familien?) Familien. Genau. Wir hatten jetzt keinen so großen, ähm, ähm, sag ich ma` Spektrum wie jetzt hier in [Stadt 1 in Deutschland] oder heute, ne, das ist. Damals waren, das hat die … angeworbenen Ga… äh, Facharbeiter- Gastarbeiterkinder, waren das dann so, ne. Und da kam das immer! In allen Sprachen, haben die die uns… ich kenn all die Sprachen wurden wir beschimpft, ne. Und ich habe nichts dazu, was hatte ich äh…? Mein Bruder hat sich dann immer mit denen geprügelt, so. Und meine Mutter ist dann in die Schule gegangen, die ist wirklich dahin. Die hat dann noch gesagt: Das will ich nicht, das will ich nicht. Deswegen ist für mich, auch wenn ich heute auf der Arbeit die Fremdbezeichnung – dass manche Leute mit mir diskutieren, was soll ich denn mit euch diskutieren? Ich bin es leid, mit euch zu diskutieren. Weil, meine Mutter, die weder lesen noch schreiben konnte, Ende Anfang der 80er Jahre, ohne das mit uns zu besprechen, nimmt uns an die Hand, dackelt zum Direktor und sagt Das muss aufhören. Die sch… beschimpfen uns. So bin ich groß geworden, ne, mit totaler Empörung, dass meine Mutter immer gesagt hat Das geht nicht. Und was soll ich dann, weißte, dieses, äh … wir haben uns nie, ich hab nie gehört, dass wir uns so, äh, beschimpfen – mit dem Wort. Nee, da haben wir andere Sachen benutzt, ne (lacht kurz). Ja, und dann kam noch hinzu, dass sehr viele, ähm, dass sehr viele Nazis an Sch… der weiterführenden Schule waren: Skinheads, White Power Bewegung war sehr aktiv, damals! Und ich hab gar nicht so, also vor einen hatte ich schon Angst, der war in der Zehn, Metzger war sein Name, (lächelnd) weil der dann eine Ausbildung als Metzger gemacht hat, vor dem hatte ich Angst. Aber, da hat auch nie einer mit uns darüber gesprochen in der Schule, ne. Schon krass, muss ich sagen. Die hatten dann immer ihre Springerstiefel, ihre Domestos Hosen und dann hatten die so White Power T-Shi… schon immer White Power, und ich bin ja mit denen großgeworden. Die haben immer gesagt: Nein, ihr seid was Besonderes. (Husten) Euch meinen wir ja nicht. (Speaker 1 gleichzeitig: mmhm).
Speaker 2 [01:06:57]
Aber ich dachte mir: wie absurd, was für einen Schulalltag ich erlebt hab, ne. Und dass die so überhaupt in die Schule durften.
Speaker 1 [01:07:05]
Ja, das wollte ich gerade fragen. Und die Lehrer: innen haben nicht drauf reagiert?
Speaker 2 [01:07:09]
Nein, nein! (Speaker 2 sagt etwas Unverständliches) Ich hatte zwei Nazi, drei Nazis in meiner, zwei, drei, in meiner Stufe. Zwei in meiner Klasse. Ein in der Parallelklasse. Ja! Ja, ja, aber mit dem einen bin ich schon im Kindergarten gewesen. (Lacht kurz) Ja, ja, verrückt, absurd, ne.
Speaker 1 [01:07:33]
Und als sie als „Z“ Kinder beschimpft wo… worden seid, haben auch, haben da die Lehrer: ihnen irgendwie reagiert, oder sich eingemischt, oder?
Speaker 2 [01:07:44]
Nein, nein, … nein, wo… nein! Es wurde überhaupt nicht hinterfragt! Weil denen das gar nicht bewusst war. Es hat ja … das war, ist ja Alltagssprache gewesen.
Speaker 1 [01:07:54]
Mhmm, das war selbstverständlich.
Speaker 2 [01:07:56]
Das war selbstverständlich. Wir sind doch die „Z“ Kinder. Das wurd` ja auch gesagt. Das sind die, das sind die ja. Aber wir haben uns ja, sag ich mal, meine Eltern haben sich ja verleugnet, ne, aber die Kinder haben das gecheckt. Die Kinder haben das gemerkt, weil, wir haben immer gesagt, wir sind Serben. Und dann waren aber Kroaten, da war einmal, die waren serbische, kroatische Kinder. Wir haben ja damals gesagt jugoslawische. So! Ja, und dann haben die mit uns gesprochen. Ich konnte kein Wort Serbisch. Und dann haben die, und wir sehen ja auch anders aus. Guck dir die an, guck wie und wie wir aussehen. Und dann haben wir gesagt: Nee, Ciganka, Cigane, Ciganke. Immer so haben die gesagt. Und dann haben das die anderen auch, äh …. ja … und dann haben wir aber gesagt: Nee, nee, wir sind, hat mein Vater gesagt: Sagt, ihr seid Albaner, weil die Serben, die Kroat… sprechen kein Albanisch. Und dann haben wir gesagt, wir sind Albaner. Da kamen aber die Albaner. Verstehst du? (Lachend) Die haben es dann auch gecheckt.
Speaker 1 [01:08:54]
(Ein lauter Atemzug).
Speaker 2 [01:08:55]
Und ganz ehrlich Ismeta, Albaner sehen auch anders aus, ne. (Kurze Pause beim Reden)
Speaker 2 [01:09:02]
Ja, es war schon völlig durcheinander. Ich habe erst jahrelang nicht gem… gewusst, was wir überhaupt sind und.
Speaker 1 [01:09:10]
Warum haben das deine Eltern so gesagt, dass ihr euch verleugnet?
Speaker 2 [01:09:14]
Weil mein Vater gesagt hat, dann kriegen wir nur Schwierigkeiten. Keiner will die Roma haben, hat er gesagt. (Speaker 1 gleichzeitig: Aus Angst). Ja, keiner will die Roma. Es ist eine Überlebensstrategie. Ich kann das auch verstehen, ne. Mein Bruder macht das bis heute so in seinem Umkreis, seine Schw.., der ist glaube ich 30 Jahre mit seiner Frau zusammen. Seine Schwiegermutter weiß das bis heute nicht. Kann ich verstehen, ne. Kann immer nur bei mir bleiben und für mich. Das ist auch eine Art, eine Strategie des Überlebens, die, für die sich einfach, was sehr schade ist, aber manche unserer Community nun mal dafür entscheiden. Und mein Vater hat auch gesagt: Dann kriegt ihr keine Arbeit, dann will euch keiner haben, dann haben wir sehr schwer. Ihr dürft das nicht sagen. Es muss geheim bleiben.
Speaker 1 [01:10:05]
Ist quasi, die Angst vor Konsequenzen?
Speaker 2 [01:10:08]
Wenn was fehlt, bist du das gewesen. Wenn was nicht da ist, warst du das gewesen, ne. Und das ist ja zu derzeit muss ich sagen, viele haben das so damals gemacht, ne. In Deutschland. Es gab ja keine Geflüchteten. 70er Jahre gab es ja keine geflüchteten, äh, äh, Rom: nja in Deutschland, ne. (Speaker 2 gleichzeitig: Ja). Gab´s ja nicht. Es gab Sinti. Ja. Aber die haben ja auch noch mal ihre Geschichte so, ne? Aber so die ersten so… aus Exjugoslawien waren ja die Gastarbeiter: innen, so, ne?
Speaker 1 [01:10:48]
Ja. (kleine Pause, lautes Einatmen) Ja.
Speaker 2 [01:10:58]
Ja, deswegen, äh, reagiere ich bei dem Wort auch sehr allergisch, ne. Und ich mag auch nicht mehr erklären. Ich bin, finde vor zehn Jahren, okay. Aber jetzt, dass ich mich so erkläre, und dann denk ich mir: Nee, bild dich selber fort. Ist nicht mehr mein. Es hat sich viel verändert, viel hat sich verändert, ne. Auch wenn ich sehe, zum Beispiel, mein Sohn, seine Haltung bestimmten Dingen gegenüber. Die diskutiert er gar nicht mehr. Das ist für die, die sind auch noch mal anders. Diese Generation, sag ich mal, ne! Viel offener und äh …. da wird nicht mehr, also bei un… und mich fragt man immer noch, kennst du bestimmt auch: Woher kommst du denn? Woher kommst du denn? Zum Beispiel in dem Kreisen von meinem Sohn fragt kein Mensch: Woher kommst du denn? Das ergibt sich mit der Zeit. Da äh, äh, merken die schon, ne, was haben die so für einen Hintergrund, ne? Auch wenn ich seh… sehe, der bewegt sich, der lebt ja in den Niederlanden, jetzt der studiert der da in Spanien … die Menschen kommen von überall her. Seine Lehrerinnen in Spanien sind zum Beispiel aus Kuba. Da kommt keiner auf die Idee zu fragen, weil du dunkle Haut hast: Woher kommst du denn, ne? Das ist für die so, (klatscht mit den Händen)!
Speaker 1 [01:12:17]
Selbstverständlich.
Speaker 2 [01:12:19]
Ja, man lernt sich kennen und dann hört man ja voneinander. Das ist ja zum Beispiel auch. Ich werde immer noch gefragt. Die fragen mich immer noch und dann sag ich Deutsche, und dann sagen die: Nee, nee, du hast ja eine … und dann sage ich: Sag mal! Hast du jetzt nicht einfach mal, äh, die Geduld, wenn wir so im Gespräch sind? Vielleicht ergibt sich ja, was, wenn ich möchte und ne, aber so, das ist total übergreiff… übergriffig, jetzt, äh. So sag ich, ich sage: Ich bin Deutsche! Und dann sagst du: Nein! Dann sage ich: Was erlaubt ihr das? Ich bin hier geboren, meine Kinder sind schon hier. Was erlaubt ihr mit zu sagen: Ich bin nicht Deu… Also, „Nein!“ zu antworten. Es ist so unverschämt, ne. Das höre ich mein Leben lang. Ja.
Speaker 1 [01:13:15]
Ja, dann. Dann bedanke ich mich bei dir. Möchtest du noch etwas hinzufügen, was ich dich vielleicht nicht gefragt habe? Gibt etwas aus deinem Leben, was du noch unbedingt erzählen möchtest?
Speaker 2 [01:13:29]
Ja, ich würde gerne noch, äh, sagen, dass ich ja, bis ich den Rom e.V. nicht kennengelernt hab, so was ja, nicht kannte. Ich habe mir nur gedacht, ich muss mich auf den Weg machen, weil ich so Identitätsprobleme hatte, ne. (Speaker 1 gleichzeitig: Mhm). Als ich nach [Stadt 1 in Deutschland] gekommen bin, als ich erfahren hab, was wir dann wirklich so sind. Weil mir war ja nicht klar, was wir sind, weil wir ja, nicht offen darüber gesprochen haben, ne (lachend).
Speaker 1 [01:13:53]
Dass du R… dass, du Roma bist?
Speaker 2 [01:13:54]
Dass wir Roma sind! Ich wusste, wir sind Roma, aber da, wir durften das nicht sagen und das hat ja was mit mir gemacht und meiner Identität, so. Und als ich nach [Stadt 1 in Deutschland] gezogen bin, hab ich mir gedacht, ich muss mich auf den Weg machen, ich muss. Es gibt hier alle möglichen Vereine, Es gab so viele kurdische Vereine, spanische, italienische, dann hab ich gedacht, ich muss so ein, ich muss mit anderen Menschen. Und das war für mich sehr gut, dass sich so ein Verein, dass sich dann so eingefunden hat, ja, dass sich andere gefunden haben und auch die Breite, die breit, also breit wie breit gefächert sind, dass Roma ist nicht gleich Roma. Wir sind so unterschiedlich, wir sind keine homogene Gruppe. Es gibt nicht die Roma die so sind und so sind, wir haben alles, ne. Wir haben alles und das äh, hat mich sehr bereichert. Einfach einen Ort zu wissen, wo ich einfach in meiner Community bin und wo ich auch meine Sprache sprechen kann, ne.
Speaker 1 [01:14:56]
Also verurteilt zu werden, oder…
Speaker 2 [01:14:58]
Ja! Ja, ja, das ist schon. Das gibt halt so einen, schönes Gefühl, einfach auch so, ein bisschen wie auch zu Hause sein, ne. Das war mir noch wichtig, dass es einfach auch Räume geben muss für jeden von uns, wo man diese Sicherheit halt dann hat. Auch hat, ne. Und äh, Selbstorganisation ist das Ziel für alle, ne. Ich bin ja, äh, Fan von gemischt. Ich möchte immer alles zusammen. Ich möchte. Ich bin nicht dafür, dass ich sage, wir bleiben jetzt nur unter uns, weil ich bin ja auch Deutsch. Es kann man mir nicht nehmen. Ich bin einfach auch deutsch.
Speaker 1 [01:15:39]
Ja. Du bist hier geboren, hier aufgewachsen, das ist dein Land
Speaker 2 [01:15:44]
Ja, es ist so. Aber ich bin auch Romni, und deswegen habe ich beides in mir und ich möchte auch beide. Ich möchte, dass wir zusammen uns tun. Und nur so können wir erreichen. Wir brauchen auch die Nicht Roma, ne. Wir brauchen die, weil die auch zu uns gehören, ne. Und wir wollen auch, dass, wir sind ja nicht so weit, aber es sollte schon so, wir sollten Teil dieser Mehrheitsgesellschaft sein und nicht immer noch am Rande nach so vielen. Jahrhunderten, sag ich mal … ja. (Lacht)
Speaker 1 [01:16:16]
Ja, danke dir! Lieben, lieben Dank (Speaker 2 gleichzeitig: Sehr gerne, sehr, sehr gerne) für das Interview und ich freue mich schon auf das nächste.
Speaker 2 [01:16:25]
Ich freue mich auch. Ich bin mal gespannt, was dann so deine Fragen oder so, wo das dann hingeht, ne. (Speaker 1: Ja, gerne).